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    Warum PluraloWatch?

    Jährlich absolvieren allein in Deutschland ca. 10.000 Studierende das volkswirtschaftliche Studium. Daneben besuchen unzählige Nebenfach-, Lehramt- und andere Studierende VWL-Veranstaltungen in Mikro- und Makroökonomik. Sie alle werden später das im Studium Gelernte mehr oder weniger bewusst bei der Gestaltung unserer Gesellschaft anwenden. Daneben haben Ökonom*innen durch ihren Einfluss auf den öffentlichen Diskurs eine erhebliche gesellschaftliche Verantwortung. Ihre Entscheidungen können Millionen von Menschen beeinflussen.

    Doch der Zustand der Volkswirtschaftslehre ist sehr besorgniserregend: Der jahrzehntelange Glaube an die Naturgesetzlichkeit des Marktes als Ergebnis der einseitigen Fixierung auf die Neoklassik, der vorherrschende Modellplatonismus, mangelnde Selbstreflexion und fehlende Methoden- und Theorienvielfalt haben die VWL nicht nur als akademisches Fach in eine Sackgasse geführt: Die Einseitigkeit ökonomischen Denkens trägt auch zu den anhaltenden Krisen (Wirtschafts- und Finanzkrisen, Klima- und Umweltkrisen, Ernährungskrisen usw.) und der damit einhergehenden Perspektivlosigkeit bei.

    Gemäß dem Wissenschaftsverständnis der VWL werden in der ökonomischen Ausbildung grundlegende Fragen weder zum Gegenstand der Wissenschaft noch zur Methode gestellt und diskutiert. Die kritische Reflexion des eigenen Denkens und Tuns als Ökonom*in ist nicht Bestandteil des VWL-Studiums. Die VWL betrachtet ihren Gegenstand hingegen fast ausschließlich durch die mechanisch-mathematische Brille der Neoklassik – ohne sich dessen bewusst sein zu können. Begriffe wie Effizienz, Wachstum oder Wirtschaftlichkeit werden als wünschenswerte Ziele ausgegeben, ohne sie als grundlegende normative Annahmen zu reflektieren.

    Die Art und Weise der ökonomischen Lehre systematisiert und verstärkt diese Reflexionsverkürzung, da VWL-Studierende bereits vorgefertigte Stichpunkte und Formeln ohne jedwede historische oder inhaltliche Einbettung auswendig lernen und in meist einstündigen Klausuren reproduzieren müssen. Auf diese Weise zementiert sich der Eindruck, dass der Inhalt des Gelehrten alternativlos sei, ganz nach demPrinzip von Margret Thatcher „There Is No Alternative!“.

    Diese Einseitigkeit drückt sich auch darin aus, dass an fast allen Universitäten die gleichen Inhalte unterrichtet werden. Während es in anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen zur Grundausbildung gehört, viele verschiedene theoretische Zugänge zum Erkenntnisobjekt zu erhalten, ist solch ein Pluralismus in der VWL praktisch nicht vorhanden. Dieser Status Quo der VWL erscheint uns problematisch, weil er das Potential von Ökonom*innen, Wirklichkeit zu begreifen, maximal einschränkt und ihnen das Erlernen von kritischer Reflexionsfähigkeit erschwert oder gar unmöglich macht. So bleibt die Frage offen, inwiefern Ökonom*innen den derzeitigen vielfältigen Krisenerscheinungen fähig begegnen, sowie zu einem Lernen aus Krisen und Lösen von Krisen beitragen können.

    Monokultur des Denkens

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    In ihrem VWL-Studium werden Studierende ausschließlich mit einem einzigen Antwortprinzip konfrontiert. Dieses Antwortprinzip besteht aus Kernpostulaten, den „brutal truths of economics“ (Samuelson/ Nordhaus) und einer bestimmten Vorgehensweise, Wirklichkeit zu verstehen: die ökonomischen Methode.

    Die Kernpostulate und die ökonomische Methode sind die Grundlagen derjenigen ökonomischen Theorie, die Ende des 19. Jahrhunderts als „Economics“ ihre Gründung fand. In dieser Zeit wurde die ökonomische Theorie modifiziert, um den Kriterien eines naturwissenschaftlichen Wissenschaftsideals von exakter Wissenschaft gerecht zu werden. Die Modifikation bestand zum Einen in der Übernahme der exakt-wissenschaftlichen Methode, die sich durch den mechanisch-mathematischen Zugang zum Erkenntnisgegenstand auszeichnet. Zum Anderen beinhaltete sie die Manipulation der ökonomischen Theorie inklusive ihres Gegenstandes – dem menschlichen Handeln – , sodass sie der Methode zugänglich wurde. Wie sieht das konkret aus?

    Die Ökonomen jener Zeit übernahmen im Rahmen der Reform ihrer Theorie die Methode der analytischen Mechanik. Die Methode der neu entstehenden Ökonomik („Economics“) ist demnach eine Erklärweise, welche versucht menschliches Verhalten mit Hilfe eines in sich abgeschlossen abstrakten Systems von Gesetzmäßigkeiten zu erklären. Diese Gesetze  gelten – so die Annahme – unabhängig von Raum und Zeit und bestehen in der Form von quantifizierbaren Beziehungen (Differentialgleichungen). So kommt Lionel Robbins, ein führender Ökonom Anfang des 20. Jahrhunderts, dazu, Ökonomik als die Wissenschaft zu definieren, die menschliches Verhalten als eine Beziehung zwischen Zielen und knappen Mitteln mit verschiedenen Verwendungszwecken erklärt. Der Gegenstand der ökonomischen Theorie – menschliches Verhalten – muss demnach als eine quantifizierbare Beziehung verstanden werden, welche von universal gültigen ökonomischen Gesetzen determiniert ist. Mittels dieser Methode – so die Hoffnung – würde es der Ökonomik als Wissenschaft ermöglicht, menschliches Verhalten mit Hilfe von Berechnung zu prognostizieren.

    Die Kernpostulate, die „brutal truths“, die das ökonomische System konstituieren, sind dabei hauptsächlich die Annahmen, es würde ein Markt existieren, in dem Menschen sich nutzenmaximierend verhalten, deren Verhalten eine Reaktion auf Anreize darstellt und sich nach weitestgehend homogenen und konstanten Präferenzen ausrichtet. 

    Wie werden diese Kernpostulate und die ökonomische Methode nun zum alternativlosen Antwortprinzip in der ökonomischen Lehre?

    In der ökonomischen Lehre werden weitestgehend Lehrbücher verwendet, die in ihren Inhalten auf dem Lehrbuch von Paul Samuelson „Economics“ beruhen. Dieses Lehrbuch entstand 1948, besteht mittlerweile in der 19. Ausgabe, wurde in mehr als 40 Sprachen übersetzt und ist fachübergreifend das erfolgreichste Lehrbuch überhaupt . Nachfolger sind Lehrbücher wie etwa Gregory Mankiws „Principles of Economics“ und Hal Varians „Microeconomics“. Basierend auf diesen Lehrbüchern und dem dazu gehörigen Lehrmaterial (z.B. Foliensets und Übungsaufgaben) wird die Mehrheit der VWL-Studierenden an den Universitäten weltweit ausgebildet. Inhalt dieser Lehrbücher ist eben jenes oben beschriebenes Antwortprinzip. Das erste Jahr des VWL-Studiums ist darauf ausgerichtet, ausschließlich dieses zu lernen.

    Reflexionsverkürzung

    Den VWL-Studierenden und Lehrenden entsteht innerhalb des Curriculums eines VWL-Studiums keine Möglichkeit das eigene Tun, Denken und dessen grundlegenden Wertannahmen zu reflektieren. Mit der Begründung, wissenschaftlich sei, was effizient erkläre, wird seit der Gründung der Ökonomik („Economics“) die Reflexion von grundlegenden Fragen zu Gegenstand und Methode der ökonomischen Wissenschaftmarginalisiert. Effizienz zeigt sich an dieser Stelle in der Generierung von konkreten zur Prognose geeigneten Resultaten, für die die Reflexion von Fragen zu den Voraussetzungen dieser Resultate unproduktiver Ballast ist. Auch dogmenhistorische Reflexion schließt sich aus einer Wissenschaft aus, die sich wie die ökonomische auf eine Erklärweise beruft, die auf der Deduktion von vermeintlichen universal gültigen Gesetzen beruht.

    Welche Wirkung hat diese systematische Reflexionsverkürzung auf die Studierenden?

    Es ist im Rahmen dieser ökonomischen Lehre kaum möglich, das Antwortprinzip nicht als alternativlos, sondern als eine Art etwas zu erklären, zu begreifen. Das ökonomische Antwortprinzip kann auf diese Weise kaum als Werkzeug des Denkens und Erklärens, das auf bestimmten Idealvorstellungen  beruht, verstanden werden. Dieses Antwortprinzip wird so leicht zu einer persönlichen Einstellung zu sich selbst und zu seiner Mitwelt. Als persönliche Eigenschaft wird sie, die vorher ein künstliches Werkzeug war, zu etwas Natürlichem, Normalem, das Entscheidungen beeinflusst und Wirklichkeit gestaltet.

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    Wo wir hin wollen

    Eine Volkswirtschaftslehre....

    ...die die Menschheit nicht als Aggregat automatischer Kalkülmaschinen, sondern als Mosaik unterschiedlichster Biographien, Motivationen und Ideen versteht

    ...die Natur nicht mehr als zu verwertende Ressource, sondern als schützenswerte Mitwelt und Lebensgrundlage begreift

     ...die ihre Praktiker*innen nicht mehr dazu zwingt, sich auf ein austauschbares Wissenschaftsego zu reduzieren, sondern dazu ermutigt, sich und andere Forscher mitsamt ihrer Erfahrungen und Empfindungen ernst zu nehmen und wert zu schätzen.
     
    ...oder wie stellen Sie sich eine wünschenswerte Wissenschaft der Ökonomie vor?
     
    Nehmen Sie sich doch einmal zwei, drei Augenblicke Zeit, über Formen und Inhalte einer solchen Wissenschaft nachzudenken.
    Eine andere Volkswirtschaftslehre ist denkbar. Sie ist also prinzipiell möglich. Was fehlt, sind noch mehr Menschen, die den Funken in Hörsäle, politische Gremien und andere Orte des gesellschaftlichen Diskurses tragen.
     
    Das Netzwerk Plurale Ökonomik e.V. möchte mit der Kampagne PluraloWatch diese Menschen finden und begeistern. Wir möchten denen Mut machen, die sich nicht in die standardökonomische Denkweise hinein zwängen lassen: bleiben Sie Ihren Fragen treu! Auf dieser wachsenden Website werden wir Wege aufzeigen, was für neues ökonomisches Denken getan wird, bzw. werden kann.
     
    Ein pluralistisches Ökonomie-Verständnis hat für Gesellschaft und Natur höchste Bedeutung. Ohne die entsprechenden Bildungsräume kann dieses Verständnis aber nur schwerlich greifen. Aus diesem Grund werden wir es nicht versäumen, die Dimension der Baustelle – insbesondere in Deutschland – unter die Lupe zu nehmen. Neues ökonomisches Denken braucht Räume, gerade auch an den Universitäten.
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    Über die Kampagne

    Um unserem Ziel, die Volkswirtschaftslehre pluraler zu gestalten, näher zu kommen, haben wir 2013 begonnen unsere Netzwerkarbeit zu professionalisieren und die Kampagne PluraloWatch ins Leben gerufen.Sinn der Kampagne ist es, diesen grundlegenden Wandel in der volkswirtschaftlichen Lehre zu unterstützen. Für diesen Zweck wurde diese Plattform für Engagierte und Interessierte im Bereich der ökonomischen Bildung und deren Wirkungsbereiche ins Leben gerufen. Konkret lässt sich die Arbeit der Kampagne in zwei Dimensionen strukturieren:

    1. Informations- und Vernetzungsarbeit: Die Informations- und Aktionsplattform und die dort zur Verfügung gestellte Studie EconPLUS (ab November 2016)
    2. Reflexionsarbeit: Die Veranstaltung einer Arbeitstagung zum Thema Alternativen Ökonomischer Bildung mit dem Ausblick erprobte Alternativkonzepte im Rahmen einer PluraloUni (Exploring Economics, ab Dezember 2016) zur Verfügung zu stellen.

    Unsere Kampagnenziele sowie vertiefte Infos zur Kampagne finden sie hier...